Das Braille 'n Speak 640


1. Die Geschichte des deutschsprachigen Braille 'n Speak

Als ich im Mai 1988 zum erstenmal einen Artikel über das Braille 'n Speak las, konnte ich fast nicht glauben, was da alles zu lesen war: Ein elektronisches Notizgerät, daß in eine Manteltasche paßt, zusätzlich eine eingebaute Uhr mit Datumsansage, Stoppuhr und Taschenrechner bietet, und in das man englische Kurzschrift eintippen und Vollschrift herausbekommen kann, das hörte sich toll an. Die auf einer Punktschrifttastatur eingetippten Texte werden - so las ich - über eine eingebaute Sprachausgabe wiedergegeben.

Bei meinem nächsten Besuch in den USA hatte ich Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, daß der Artikel wirklich nicht übertrieben war. Nur die Sprachqualität riß mich nicht vom Hocker.

Je öfter ich das Gerät sah, um so besser gefiel es mir, und auch an die Sprache kann man sich leicht gewöhnen. Also fand ich die Telefonnummer des Herstellers, Blazie Engineering, heraus und rief dort an. Ich wollte wissen, ob und wann es eine deutsche Version geben würde. Der Chef der Firma und Entwickler des Braille 'n Speak (BNS), Deane Blazie, war selbst am Apparat. Er sagte mir, eventuell würde es einmal eine deutsche Version geben; wann könne er mir nicht genau sagen.

Bei jedem weiteren USA-Besuch - zu der Zeit waren das zwei pro Jahr - rief ich Deane Blazie an und erkundigte mich nach dem Fortgang der Dinge. Immerhin wurde mir eine deutsche Version in Aussicht gestellt.

Deane hielt Wort. Ende 1990 stellte er erstmalig einen Prototypen des deutschsprachigen BNS vor. - Die Firma Blazie Engineering ist im Wesentlichen ein Familienbetrieb; und da Deane selbst kein und sein Sohn nur wenig Deutsch spricht, war er auf die Mithilfe einer Firma aus dem deutschsprachigen Raum angewiesen.

Eine wichtige Sache muß jetzt erwähnt werden: Das BNS kostete damals in den USA knapp unter 1000 Dollar, und Deane Blazie hat den Grundsatz, Hilfsmittel von hoher Qualität zu einem möglichst erschwinglichen Preis anzubieten. Die meisten der Firmen aus dem deutschsprachigen Raum boten selber Notizgeräte an, die aber größer und teurer waren. Ob es daran gelegen hat, daß er nur halbherzige Unterstützung bekam? Und das auch nur von einer Firma. Die anderen, an die er sich wandte, hatten kein Interesse an dem Gerät. - Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß es damals schon ein Gerät gab, das bei gleicher Größe bzw. kleine ähnliches leisten konnte, nämlich das Notaphon von CareTec, aber das kostete wesentlich mehr als 1000 Dollar.

Als ich im Juli 1991 am Jahreskongreß des US-amerikanischen Blindenverbandes "National Federation of the Blind) gewohnheitsgemäß den Stand von Blazie Engineering aufsuchte, um Deane wieder mit meiner Frage nach der deutschen Version des BNS zu nerven, war ich überrascht, als er mir einen Prototypen dieses Gerätes in die Hand drückte. Groß war meine Freude, als er mich bat, das Gerät die ganze Woche über zu behalten und auszutesten. Die Ergebnisse meiner Arbeit teilte ich ihm in einem Brief mit, den ich auf dem Gerät schrieb. Es hatte noch viele Mängel, war aber schon durchaus nutzbar. Mein Interesse an dem Gerät war so groß, daß ich mir eines bestellte. Deane bat mich auch, eine Firma in Deutschland zu finden, die das Gerät vermarkten würde.

Das tat ich denn auch. Da die "großen" Firmen offensichtlich kein Interesse hatten, wandte ich mich an kleinere und aufstrebende Unternehmen. Alle waren irgendwie interessiert, aber auch sie hatten das Problem, daß sie ja selbst auch Notizgeräte in ihrer Produktpalette hatten. Schließlich gab mir jemand den Rat, mich an K T S zu wenden. Dort war das Interesse sehr groß, und zwischen- zeitlich ist man sich auch mit Deane Blazie handelseinig geworden.

Vorher aber mußte noch vieles am BNS verbessert werden. In den USA war bereits das Braille 'n Speak 640 auf den Markt gekommen, eine Version mit 640 Kb RAM. Doch nicht nur der Speicher wurde erweitert, sondern andere Funktionen kamen hinzu, auf die ich im zweiten Teil meines Beitrags noch eingehen werde.

Anfang August 1992 suchte ich Deane Blazie endlich zu Hause auf. Ich durfte eine Woche bei ihm wohnen und in seiner Firma an der Verbesserung des deutschen BNS arbeiten. (Die spanische und französische Version war bereits fertiggestellt). Es war klar, daß wir gleich am BNS 640 arbeiten würden. Nach einer Woche intensiver Arbeit und mehrwöchigem Austesten und verbessern lag dann ein Gerät vor, daß man in den Verkauf bringen konnte. Auf der Reha 92 in Karlsruhe stellte die Firma K T S das Gerät erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor, und das mit gutem Erfolg.

Anfang Dezember flog dann K T S-Mitarbeiter Ferdi Bugert nach Maryland, um weitere Verbesserungen einzubauen. Die Früchte seiner Bemühungen kenne ich noch nicht, aber ich hoffe, wir werden bald davon hören.


2. Das deutschsprachige Braille 'n Speak

Obwohl das heutige BNS mehr Speicher hat und mehr kann als seine "Urversion" aus dem Jahre 1987, hat sich seine Größe sogar ganz geringfügig - um wenige Millimeter in jeder Richtung - verringert. Es paßt also, wenn man es aus seiner Schutz- und Trage tasche herausnimmt, wirklich in eine - zugegeben etwas geräumigere - Manteltasche; schwierig wird es vielleicht, wenn man es in seinem Lederetui beläßt, aber dann kann man es ohnehin über die Schulter hängen.

Das Gerät wird mit wieder-aufladbaren Akkus betrieben; eine Ladung reicht für etwa 18 Stunden Betrieb. Selbstverständlich kann das Gerät auch während des Aufladens benutzt werden. Die seit dem letzten Aufladen verstrichene Betriebszeit kann jederzeit abgefragt werden.

Das BNS hat einen Schalter zum ein- und ausschalten und 7 Tasten: die für die 6 Punkte und die Leertaste. Befehle werden mit einem sog. "Chord" - das bedeutet durch gleichzeitiges Drücken des entsprechenden Buchstabens und der Leertaste - eingegeben. Will man zum Beispiel wissen, wieviel Uhr es ist, so drückt man einen O-chord gefolgt vom Buchstaben T. O-chord D sagt das Datum an.

Die Hauptfunktion des BNS ist natürlich das Schreiben und Bearbeiten von Texten. Diesen Beitrag schreibe ich zum Beispiel auf der Bahnfahrt von Saarbrücken nach Weil am Rhein. Damit die Sprachausgabe die anderen Fahrgäste nicht stört, habe ich einen Kopfhörer angeschlossen. Die Lautstärke des Lautsprechers bzw. Kopfhörers wird übrigens auch durch Tastaturbefehle geregelt. Texte müssen vorerst noch in Vollschrift - allerdings schon mit den in dieser Schriftform üblichen Kürzungen wie Au, Ei usw. eingegeben werden. An einem Kurzschrift-Rückübersetzer wird derzeit gearbeitet. Natürlich kann man beim Schreiben auch die beiden in der deutschen Blindenschrift gebräuchlichen Großschreibezeichen (Punkte 4,6 bzw. 4,5) verwenden. Zahlen können wie in regulärer Vollschrift auch mit Zahlenzeichen eingegeben werden. Das Gerät übersetzt sie dann automatisch in ASCII-Zeichen. Man hat aber auch die Möglichkeit, Texte einzugeben, ohne daß der Übersetzer benutzt wird; dann müssen die Zahlen gemäß dem 6-Punkte-Computer-Braillecode (was für ein langes Wort) eingetippt werden. Auch für Befehle, die man dem Gerät gibt und für Dateinamen muß der Computercode verwendet werden.

Das englische bzw. amerikanische BNS verfügt über die Möglichkeit, Texte auf Tip- und Rechtschreibfehler zu prüfen und diese zu korrigieren. Die Firma K T S ist derzeit auf der Suche nach einem geeigneten deutschsprachigen Rechtschreibkorrekturprogramm, das auf dem BNS läuft. Natürlich kann man auch jetzt schon Texte bearbeiten, bestimmte Wörter suchen, Textblöcke verschieben usw.

Das BNS verfügt über eine serielle Schnittstelle, an die man einen Drucker, Computer oder andere elektronische Geräte an schließen kann. Wenn ich diesen Text fertig habe, werde ich ihn also auf meinen Computer überspielen und dort weiter bearbeiten, indem ich ihn zum Beispiel vom Rechtschreibprogramm meiner Textverarbeitungssoftware überprüfen lasse. Dann werde ich ihn per Datenfernübertragung auf die Reise schicken. - Übrigens wäre der Umweg über den Computer nicht nötig: Man kann das BNS auch direkt an ein Modem anschließen und DFÜ betreiben. Darüber hinaus gibt es als Zubehör ein Diskettenlaufwerk für 3-1/2-Zoll Disketten. Die vom BNS auf diese Disketten gespeicherten Dateien können von MSDOS-Rechnern gelesen werden. Natürlich funktioniert das Ganze auch umgekehrt.

Deane Blazie ist Funkamateur (Sein Call ist WA3TRP). Sein Gerät hält denn auch zwei Leckerbissen für Funkamateure bereit: 1. Man kann es auch an ein TNC anschließen und Packet Radio damit betreiben, und 2. es ist in der Lage, Amateurrufzeichen richtig auszusprechen: Wenn es ein Wort sieht, das aus einer Buchstaben Zahlen-Kombination besteht, wird dieses Wort automatisch buchstabiert. Mein Rufzeichen wird dann beispielsweise nicht als DK7VE, sondern korrekt als D K 7 V E gelesen.

Zurück zur Textverarbeitung auf dem BNS. Bevor man einen Text schreibt, muß man festlegen, wie lange er in etwa werden wird; Texte werden nämlich in Seiten eingeteilt, wobei jede Seite aus 4096 Zeichen besteht. Insgesamt faßt der Speicher 154 solcher Seiten. Stellt man fest, daß ein Text doch länger oder kürzer ist als ursprünglich vermutet, so kann man die Datei jederzeit entsprechend vergrößern oder verkleinern. Wenn ein Text nach dem Schreiben ausgedruckt werden soll, kann man das Seitenformat (Zeilenlänge, Anzahl der Zeilen auf einer Seite, Seitennummerierung) festlegen. Selbstverständlich ist es auch in diesem Falle nicht nötig, den zu druckenden Text in Computerbraille zu schreiben; er wird vor dem Ausdruck automatisch vom BNS übersetzt.

Aus dem bisher gesagten kann ersehen werden, daß das BNS die auf ihm eingegebenen Texte intern speichert. Wenn man das Gerät ausschaltet, geht also nichts verloren. Im Gegenteil: Das BNS merkt sich, an welcher Stelle man gerade im Text war, welche Formatierungs- und sonstigen Parameter man gesetzt hat usw. Im Dateimenü kann man sich dann anzeigen lassen, an welchem Tag um welche Uhrzeit man einen Text zum Letztenmal bearbeitet hat, aus wieviel Seiten und Bytes er besteht sowie ob er in Computer braille oder Vollschrift geschrieben wurde. Natürlich können Dateien auch umbenannt oder gelöscht werden; darüber hinaus kann man sie durch ein Passwort vor unberechtigtem Zugriff schützen.

Das Braille 'n Speak 640 bietet die Möglichkeit, Programme, die in der Computersprache C geschrieben wurden, zu laden und ablaufen zu lassen. Neben dem bereits erwähnten Rechtschreibprogramm gibt es ein Programm, das das Gerät in einen wissenschaftlichen Taschenrechner verwandelt. (Ich warte noch auf ein gutes Schach programm fürs BNS; vielleicht lerne ich's dann auch mal.) Wer nur einfache Rechenaufgaben lösen muß, kann sich mit dem eingebauten Taschenrechner begnügen, der neben den vier Grundrechenarten auch Prozentrechnung und Wurzelziehen kann.

Neben einer eingebauten Uhr verfügt das BNS auch über eine eingebaute Stoppuhr. Sie arbeitet auf Zehntelsekunden genau. Man kann sie auch so einstellen, daß sie rückwärts zählt, wobei man die Zeitdauer festlegen kann. Auf diese Weise wird das Gerät auch beim Kochen als Küchenuhr unentbehrlich. Will man zwischendurch noch etwas schreiben, kein Problem: die Uhr kann im Hintergrund weiterlaufen, wobei die abgelaufene Zeit überprüft werden kann, ohne daß man dazu erneut die Stoppuhrfunktion aufrufen muß.

Von besonderem Nutzen ist auch der Terminkalender des BNS. Ist die entsprechende Option aktiviert, so überprüft das Gerät beim einschalten zunächst, ob für den heutigen Tag ein Termin eingetragen ist. Wenn es fündig wird, verkündet es: "Kalenderalarm! Wollen Sie den Kalender öffnen? J oder N eingeben!" Gibt man "n" (für nein) ein, gelangt man in den Text, den man zuletzt bearbeitet hat. Tippt man aber "j" (für ja), wird der Kalender geöffnet und man hört die Zeile, in der der heutige Eintrag steht. Man kann nun diese Zeile löschen oder stehen lassen, damit sich beim nächsten Einschalten die gleiche Prozedur wiederholt. Der Kalenderalarm kann übrigens auch aufgerufen werden, während das Gerät in Betrieb ist.

Um bestimmte Arbeitsgänge zu erleichtern bzw. abzukürzen, können im BNS Macros programmiert und aufgerufen werden. Wenn ich z. B. mein Telefonverzeichnis aufrufen will, muß ich nur 2 Zeichen eingeben, und schon bin ich in der entsprechenden Datei. Mit dem Suchbefehl kann ich dann den gewünschten Eintrag finden. 63 solcher Macros können definiert werden. Selbstverständlich können die Macros auch miteinander kombiniert oder für bestimmte Eingaben unterbrochen werden, so daß hier eine große Flexibilität gegeben ist.

Ich habe bereits erwähnt, daß das BNS seine Dateien exportieren und andere importieren kann; durch die serielle Schnittstelle ist es auch möglich, das Gerät als Sprachsynthesizer zu nutzen. Sprachgeschwindigkeit, Lautstärke, Klangfarbe und Tonhöhe, die Ansage von Satzzeichen oder die Aussprache von Zahlen (als ganze Zahlen oder Ziffern) lassen sich selbstverständlich einstellen. Doch damit nicht genug: Lädt man auf einem Computer das als Zusatz zum BNS erhältliche Programm PC-Master, so kann das Gerät nicht nur als Sprachausgabe,sondern auch als Eingabeeinheit, also Tastatur, verwendet werden. Der Computer läßt sich dann vollständig vom Braille 'n Speak aus bedienen. Wer sich dieses Programm zulegen möchte, sollte sich aber vorher bei KTS darüber informieren, ob es inzwischen auch Umlaute sprechen/- verarbeiten kann.

Gesteuert wird das BNS - wie schon aufgeführt wurde - mit Befehlen, die über die Tastatur eingegeben werden. Je mehr man damit arbeitet, um so besser kennt man die Kommandos; aber es kann doch ab und zu passieren, daß man eines vergißt. Kein Problem: Das Gerät verfügt über eine fest einprogrammierte Hilfedatei, die mit ihren 13972 Bytes einer kurz gefaßten Bedienungsanleitung gleich kommt. Dieser Hilfstext kann von jeder Datei aus mit einem einfachen Befehl aufgerufen und mit einem anderen wieder verlassen werden; man landet automatisch wieder da, wo man war, als man die Hilfedatei aufgerufen hat.


3. Fazit

In dieser Beschreibung - so ausführlich sie auch ausgefallen ist - habe ich noch nicht alle Möglichkeiten geschildert, die das Braille 'n Speak 640 bietet. Auch sei daran erinnert, daß es inzwischen Neuerungen gibt, die mir noch nicht bekannt sind. Wenn man bedenkt, daß dieser Apparat nur knapp 3000 DM kostet, so muß man von einem echten "Preisknüller" sprechen.

Ein Nachteil des BNS ist meines Erachtens, daß es nur einsprachig ist, wobei es neben der englischen und deutschen auch eine spanische, französische und italienische Version gibt. Deane Blazie, der immer ein offenes Ohr für die Wünsche und Anregungen seiner Kunden hat, ist sich dieser Tatsache bewußt und denkt - wie er mir im vergangenen Sommer bestätigt hat - bereits über eine zweisprachige Version nach. Eine Aufrüstung der einsprachigen Braille 'n Speaks dürfte problemlos möglich sein, da sich die ROMs mit den Update-Versionen relativ einfach austauschen lassen.

Wegen meines Engagements im Blinden- und Behindertenwesen - aber auch privat - bin ich sehr viel unterwegs. Das Braille 'n Speak ist mir dabei zu einem ständigen Begleiter geworden, den ich nicht mehr missen möchte.

Abschließend sei noch erwähnt, daß es neben dem Braille 'n Speak auch das Type 'n Speak gibt. Hierbei handelt es sich um ein Gerät, daß in seiner Funktionsweise dem BNS entspricht, anstatt einer Punktschrifttastatur jedoch eine reguläre LapTop-Tastatur besitzt. Auf diese Weise kann es auch von Personen genutzt werden, die der Punktschrift (noch) nicht mächtig sind. Der verständliche Nachteil: Das Gerät ist größer (eben wie ein kleines Tastenfeld eines LapTop) und paßt nicht mehr in die Manteltasche.


Norbert Müller


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